Angelika Hager: Schlechtes Gewissen war mein zweiter Vorname

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Angelika Hager – die Frau hinter Polly Adler

Polly Adler, eine wahre Großstadt-Heldin für viele Frauen und auch für Männer, über das schlechte Gewissen als Mutter, über Christian Rainer, Karriere und ihre Lieblingsserien. 

Was mögen Sie selber an Polly und was nicht?

Sie hat ein Herz, so groß wie der Erste Bezirk, ist warm, scharfzüngig, aber auch egomanisch, laut und verkauft manchmal für eine Pointe ihre halbe Verwandtschaft.

Findet Ihre Tochter Stella Polly wirklich vollurepeinlich?

Zumindest behauptet sie das. Oder straft mich mit mondänem Desinteresse, indem sie vorgibt, die Kolumnen nicht zu lesen, sondern sich bestenfalls eine mündliche Kurzfassung von ihren Freunden liefern lässt. Wahrscheinlich muss das so sein – Teil des Abnabelungsprozesses.

Angelika über Erziehung

Was braucht gute Erziehung in drei Worten?

Die Vermittlung des Gefühls von Sicherheit. Und Manieren-Drill. Ich hasse schlechtes Benehmen. Es hält unnötig auf. Und habe meinem Kind von klein auf beigebracht, in ganzen Sätzen zu reden, handelsüblich zu grüßen und mit Besteck ohne gröbere Verletzungsgefahr zu essen.

Wie sind Sie als Mutter in der Worten?

Gefährlich laut und unheimlich nahe.

Haben Sie sich als Mutter manchmal gefragt, ob Sie alles richtig gemacht haben?

Ständig und ich wusste dabei auch schon gleich die Antwort: Nein, nein und nochmals nein. Ich war eine sehr mittelmäßige Mutter, weil ich immer sehr viel gearbeitet habe und Alleinerzieherin bin.

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Angelika über Karriere und Christian Rainer

Sie sind ja nicht nur Buchautorin sondern auch eine der profiliertesten Journalistinnen des Landes. Kann der Profil ohne Sie überhaupt noch in Druck gehen?

Selbstverständlich kommen die auch problemlos ohne mich klar. Ich habe aber bei profil ein berufliches Zuhause gewonnen, das ich unter keinen Umständen missen möchte. Man ist eingebettet in einer Familie von originellen, klugen Exzentrikern und kann sich schreiberisch, nahezu ohne Grenzen, austoben. Bei der Themenwahl sind mein Ressortkollege Sebastian Hofer und ich hauptsächlich auf uns gestellt. Deswegen machen wir dort fast nur Geschichten, die uns wirklich interessieren.

Viele Menschen, vor allem Frauen, sind nicht gerade verzückt in Christian Rainer, den Chefredakteur vom Profil. Bissi Dandy-, bissi Matcho-, bissi Punk-Aura umgibt ihn. Sie sind aber gut mit ihm befreundet. Welche Lanze können Sie für ihn brechen?

Nichts ist langweiliger, als Menschen, die nicht polarisieren. Christian Rainer ist ein charismatischer, farbenfroher Mensch, der natürlich auch aneckt, aber sonst wäre er kein Vollblutjournalist. Er ist unkorrumpierbar und stellt sich wie ein Grizzly vor seine Mannschaft, wenn gröberer Fahrtwind aufkommt. Wir haben immer wieder unsere Wickel, aber sie sind durchgängig produktiver Natur. Außerdem ist er – im Gegensatz zu mir – nicht nachtragend. Ich arbeite von Herzen gern unter seiner Führung und das sage ich nicht, weil ich mich einschleimen möchte.

Wie waren Ihre Anfänge als Journalistin? Haben Sie Ihren Platz schnell gefunden oder war es ein Kampf?

Natürlich musste ich kämpfen, um überhaupt einmal den Fuß in die Tür zu kriegen.Da sprang ich als junges Mädchen schon sehr oft über meinen Schatten. Wenn mir das gelungen ist, hatte ich das Glück, immer Förderer zu finden, die Platz für mich machten und Vertrauen in meine Fähigkeiten hatten. Das waren Werner Schima bei „Basta”, meiner ersten journalistischen Station, Michael Horowitz, der mein Polly-Adler-Leben im „Kurier” möglich machte, und eben Christian Rainer.

Hatten Sie je Schwierigkeiten mit der gläsernen Decke? Gab es richtige dirty old men unter den Vorgesetzten?

Nein, weil mich Macht und das Erklimmen einer hierachischen Leiter nie interessiert hat. Ich bin jemand, der am liebsten ungestört in einem Kämmerchen sitzt und Inhalte produziert. Deswegen fühlte sich auch nie jemand von mir bedroht. Das Klischee vom „dirty old man” als Vorgesetzten musste ich nie erleben. Was vielleicht auch damit zusammen hängt, dass ich 1,80 bin und nicht wahnsinnig schüchtern wirke.

Können Frauen auch widerliche Vorgesetzte sein?

Widerlichkeit ist kein Geschlechts-, sondern ein Charakterspezifikum. Machtmissbrauch und Sadismus findet man sowohl bei Männern, als auch Frauen.

Angelika über Mutterschaft und schlechtem Gewissen

Sind Sie eine Bauklotz-Turm-bau-Mutter oder eine Teletubbies-sind-schon-OK-Mama?

Letzteres durchaus – ich war oft einfach zu erschöpft, um die Lass-uns-was-ganz-tolles-Kreatives-machen-Nummer glaubwürdig durchzuziehen. Ihren Vornamen tanzte sie mit ihren Großmüttern, mit denen ich ein echtes Glück hatte..

Kleine Kinder können ziemlich lästig sein. Sie bringen sich dauernd in lebensgefährliche Situationen und wollen permanente Aufmerksamkeit – am Besten 24/7. Auf welche Art sind Teenager eine Herausforderung?

Meiner Ansicht wurde die Pubertät vom Schöpfungstechniker ins Leben gerufen, damit die Mütter nicht völlig verzweifeln, wenn sie ihre Kinder loslassen müssen. Teenager sind wie fundamentalistische Geiselnehmer – nicht verhandlungsbereit. Sie treiben einen vorsätzlich an den Rande des Nervenzusammenbruchs und texten einen dann mit Phrasen wie „Chill dein Leben, Mutter” zu. Das ist ein Bootcamp für die Entwicklung von Gelassenheit. Ich war während dieser Zeit in Psychotherapie und habe mich zu einer buddhistischen Kampfmaschine ausbilden lassen.

Ist die Pubertät die schwierigste Elternzeit?

Ja, bei meiner Tochter waren es die Jahre zwischen 14 bis 16 ½. Da ist mir mein Fortpflanz dermaßen mit seiner Präpotenz, Empathielosigkeit und autistischer Ruppigkeit auf den Geist gegangen, dass ich mir oftmals verzweifelt die Frage stellte: Wie ist dieser Alien in meine Wohnung gekommen?

Kinder von Alleinerziehenden helfen im Haushalt weniger mit als Kinder von Mehr-Elternteilfamilien. Können Sie sich das erklären?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe von meiner Tochter immer verlangt, dass sie den Spüler einräumt, ihre Wäsche aufhängt und unseren Haushalt nicht mit einem Hotelbetrieb verwechselt…Wahrscheinlich machen die Kinder am Ende des Tages, natürlich mit gewissen Verzögerungen, genau das, was man einmal von ihnen eingefordert hat.

Wie hat für Sie die Vereinbarkeit von Arbeit und Elternschaft funktioniert? Viel schlechtes Gewissen?

Schlechtes Gewissen war mein zweiter Vorname. Doch das sollten sich die Mütter abgewöhnen. Eine Mutter, die ständig vor Ort und dabei unglücklich ist, macht auch kein Kinderglück. Meine Tochter wusste, dass ich viel arbeiten muss, aber sie war sich meiner Liebe immer sicher. Ich wäre depressiv geworden, hätte ich mein Leben auf einem Spielplatz neben Mütter verbringen müssen, die oft von ihren Kindern wie von Rennpferden rennen und deren einzige Themen sowas wie ‚Montessori – Vorteil, Nachteil’ sind.

Angelika über Mutterschaft in Österreich

Wie haben Sie die Bildung Ihrer Tochter – von der Krippe an – organisiert?

Sie war von ihrem zweiten Lebensjahr in einem Kindergarten, danach in einer öffentlichen Volksschule mit Hortbetreuung. Das Gymnasium hat sie im „Theresianum” gemacht, wo Auslandsaufenthalte zum Programm gehören. Ballett und Klavierunterricht gab es auch – aber beides war im Falle meiner Tochter „für die Fische”, wie man in Wien sagt. Ich bin mit ihr als Kind viel ins Theater gegangen, mit dem Effekt, dass sie heute keinen Fuß dort hinein setzt.

Thema Schule: Haben Sie zu den Eltern gehört, die als blutdrucksteigernde Maßnahme nur das Wort `Schule´ buchstabieren mussten?

Nein, ich habe Stella von Anfang an zur Selbstständigkeit animiert und ihr schon in der Volksschule erklärt: „Ich habe einen Job, du hast einen Job – deiner heisst Schule. Wenn du ein Problem hast, meldest du dich, aber prinzipiell ist das deine Verantwortung.” In der Vollpubertät ist sie stark leistungsmäßig abgefallen, hatte aber dann wieder einen Ehrgeiz-Schub und hat mit einem wirklich für mich überraschend guten Zeugnis maturiert. Ich war nie eine der Mütter, die mit ihrem Kind Referate vorbereitet oder Hausaufgaben gemacht haben. Mir fehlte dafür einfach die Zeit. Außerdem treibt man sein Kind durch eine Überbegluckung in die Unselbstständigkeit.

Thema Gesamtschule: Während sich die meisten Leute, die sich für aufgeklärt und weltoffen halten, von der FPÖ/BZÖ distanzieren, am Yppenmarkt ihren Rosé trinken und für Menschenrechte auf die Straße gehen, wollen sie auf keinem Fall, dass ihre Kinder mit zu vielen Ausländerkindern oder gar Kindern von FPÖ-Wählern in der Klasse sitzen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Genauso wie es Salon-Marxisten gibt, hat eben auch das bobofizierte Gutmenschentum verlogene Anteile. Ich habe mein Kind ganz bewusst in eine öffentliche Volksschule im zweiten Bezirk gegeben habe in der ein hoher Multikulti-Faktor herrschte. Xenophobie war in unserem Leben kein Thema. Das Gymnasium hat sie in einer ziemlich konservativen Privatschule absolviert – wegen einerNachmittagsbetreuung bis halb sechs und dem Sprachenangebot. Wenn sie Tendenzen zu einem gewissen Snobismus entwickelt hat, habe ich ihr das schnell wieder ausgetrieben. FPÖ-Wähler sind nun einmal Teil der gesellschaftlichen Realität, man muss sie auf zivilisiertem Niveau fragen, wo sie angerennt sind. Und ich denke, diesbezüglich ist meine Tochter verlässlich. Sie wurde mit der Muttermilch mit Anti-Strache-Parolen gefüttert.

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Österreich ist nicht das Land der schnellen Veränderungen. Seit Jahrzehnten wird darüber geredet, dass es vor allem für Kleinkinder mehr Kindergärten braucht und dass es österreichweit Standardisierungen geben muss, was ein guter Kindergarten können muss. Es passiert im Grunde nichts. Soll man resignieren?

Natürlich nicht. Man muss sich empören und darüber aufregen, dass den Frauen hier die Vereinbarkeit von Beruf und Kind so schwer gemacht wird. Es ist ein veritabler Skandal, wie wir im Vergleich zu Skandinavien, Deutschland und Frankreich da stehen. Unsere Betreuungsstandards sind nachweisbar miserabel. Von dem Bildungsniveau ganz zuschweigen. Das kostbarste Kapital, das eine Gesellschaft hat, sind ihre Kinder. Und damit wird unter dieser Regierung so fahrlässig umgegangen.

`Spielen am Rasen verboten´ – Österreich war nie ein Land, in dem Kinder an erster Reihe kamen. Hausmeister hatten quasi eine Kinder-Anschrei-Legitimation und die Schulen orientierten sich an den Verhältnissen beim Bundesheer. Hat sich da was verbessert?

Wenn sich man in „Bobohausen” (dem Kameliterviertel, dem Yppenplatz oder im Siebenten) herum treibt, ist diesbezüglich alles paletti, in den Hardcore-Vierteln und Plattenbauten ist das sicher noch ganz anders.

Angelika über Mutterschaft und Selbstreflexion

Wenn man Kinder hat, ist man viel mehr gezwungen permanent das eigene Altern zu reflektieren als wenn man kinderlos durch das Leben swingt. Wie geht es Ihnen mit dem Thema?

Gut. Ich bin da nicht ganz Ihrer Meinung – denn ich hinterlasse ja mit meiner Tochter und hoffentlich ihren Kindern einen Teil von mir hier. Natürlich wäre man immer gern fünf bis zehn Jahre jünger, aber jetzt, wo mein Kind knapp in absehbarer Zeit ihr eigenes Leben führen wird, bekomme ich auch wieder eine neue Form von Freiheit.

Was machen Sie in 5 Jahren?

Hoffentlich immer bessere Bücher schreiben, weniger arbeiten, mehr reisen und mit meinen Freunden um einen großen Tisch sitzen.

Worauf sind Sie als Mutter besonders stolz?

Dass meine Tochter sehr auf Menschen zugehen kann und ein großes Einfühlungsvermögen besitzt. Dass sie ein gewisses Selbstvertrauen hat, ohne (zumindest meist) präpotent zu sein.

Wollten Sie jemals ein zweites Kind?

Doch, natürlich. Aber nicht mehr unter diesen Umständen – als vollberufstätige Alleinerzieherin. Nachdem das klassische Familienkonzept mit meinem sonstigen Leben offensichtlich nicht kompatibel war – ich hatte es ja versucht – , musste der arme Fortpflanz solo fliegen.

Wenn Sie nicht schreiben, was machen Sie dann am Liebsten?

Schmähführen mit meinen Freunden, Heimabende mit meiner Tochter, Lesen, Kochen, mir Geschichten ausdenken.

KURZ GEFRAGT

Fabios oder Wirtshaus am Eck?

Weder, noch weil ich kein Wirtshaus am Eck habe. Das „Engländer”, das „On”, „Skopik & Lohn” , „Badeschiff” oder „Schöne Perle”

Joggen oder Sudoku?

Keines von beiden.

Geld oder Liebe?

Im Zweifelsfall immer letzteres.

Schön wohnen oder toller Urlaub?

Das Ambiente ist wichtiger.

Mingeln oder Einsamkeit?

Ich pendle zwischen beiden. Ich bin ein sehr soziales Wesen, aber ich brauche immer wieder den Rückzug.

Auf welchen Popsong können Sie sich mit Ihrer Tochter Stella einigen?

Auf viele – unser Geschmack ist nicht so unterschiedlich. Wir haben in letzter Zeit viel Zaz und Pete Doherty gehört

Ihre Lieblingsserie

Downtown Abbey, The Big Bang Theory , immer wieder Sopranos und Damages mit Glenn Close.

Wie kann man sich den Herbst gemütlich machen?

Mit Büchern, Rotwein, Kochorgien und der Lust, aus dieser Gemütlichkeit auch immer wieder auszubrechen.

BIO: Angelika Hager, 49, erfand vor 15 Jahren die Kunstfigur Polly Adler für das „Freizeitmagazin” des Kurier und leitet seit 1998 das Gesellschaftsressort des Nachrichtenmagazins profil. Inzwischen sind sieben Polly-Adler-Bücher erschienen, zuletzt die Romane „Venus im Koma” und „Wer jung bleiben will, muss früh damit anfangen.” Im Frühjahr erscheint ihr Buch „Adieu, Fortpflanz!” bei Amalthea, in dem sie die Beziehung zu ihrer heute achtzehnjährigen Tochter Revue passieren lässt. Demnächst hat das Kabarettprogramm „Supernackt” , das sie für Fifi Pissecker schrieb, Premiere.

www.pollyadler.at

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