Kemal Kocht …und bloggt darüber!

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Kemal Kara ist Papa der elfjährigen Aleyna und bloggt seit einigen Monaten auf familierockt.com einfache und g´schmackige Gerichte.

Von Miesmuscheln bis Hamburger, kocht er sich quer durch die Weltküchen. Er ist der Sohn von türkischen Gastarbeitereltern, und wuchs klassisch in der Gegend um den Wallensteinplatz auf. Dass er als Mann mit seinem Background eine solche Kochleidenschaft entwickelt hat, ist weniger klassisch. Als er noch ein Bub war, hat ihn der Papa regelmäßig aus der Küche gestanzt.

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Die Küche ist kein Platz für Jungs, schimpfte mein Papa

Das sei kein Platz für Jungs, schimpfte er. Dabei gab es nichts Besseres für Kemal, als der Mama zuzusehen wie sie aus ein
paar Zutaten ein leckeres Gericht für die sechsköpfige Familie zauberte. Sie machte einmal die Woche einen Großeinkauf und der musste dann die ganze Woche reichen. Ihr oberstes Gebot beim Kochen: Es darf nicht viel kosten und muss trotzdem alle satt machen. Kemal kocht uns auch etwas Leckeres. Ein ungewöhnliches Gericht, das ungewöhnlich billig ist: Hühnerrücken. Eine Erfindung seiner Mama. Das ganze Gericht kostet nur € 9,- und sättigt locker eine ganze Familie. Noch dazu ist es sehr kinderfreundlich, weil es knusprig ist und es viel zum Nagen gibt. Beim Gemüseschneiden mit seiner Tochter erzählt uns Kemal seine Familiengeschichte. Sein Papa stammt aus einem kleinen Dorf an der Schwarzemeerküste. Mit 10 Jahren wurde er in die Stadt geschickt, wo er den Beruf des Seidendeckenstickers erlernen sollte. Für die Reise in die Stadt brauchte er einen Personalausweis, aber hatte nie einen besessen. Damals hatten viele TürkInnen keinen Ausweis. Daher versprach man allen Eltern, die ihre Kinder gleich nach der Geburt am Amt eintragen liessen, drei Meter Stoff als Belohnung. Sein um zehn Jahre jüngerer Bruder war daher von den Eltern gleich gemeldet worden, verstarb aber leider eine Woche nach der Geburt. Kemals Papa bekam also die Papiere seines kleinen Bruders und diese machten ihn zeitlebens um zehn Jahre jünger als er tatsächlich war. So wurde er in der Türkei auch erst mit 31 Jahren zum Bundesheer eingezogen. Eigentlich ganz witzig, könnte man denken.

Sollte mein Papa am Bau arbeiten bis er 75 Jahre alt ist?

Das fand Kemals Papa auch, bis er 64 Jahre alt wurde und das Pensionsalter nahte. Laut seinen Papieren war er erst 54. Sollte er nun bis 75 arbeiten müssen? Er nahm also seine Familie mit aufs Amt, die alle bezeugen sollten, dass er in Wahrheit viel älter sei als in seinen Papieren stand. Die Beamten waren aber wenig beeindruckt. Schließlich kämen dauernd Leute aus Ex-Jugoslawien, Türkei, Irak etc. die das selbe Problem hätten, meinten sie. „Wir haben dann auch einen 20.000 Schilling teuren Rückenmarkstest machen lassen. Der bestätigte, dass er älter war, als in den Papiern stand, aber das Gericht hat den Test nicht akzetpiert. Da war nichts zu machen. Mein Vater hat tatsächlich, bis er 72 Jahre alt war, am Bau gearbeitet.“ Seine Mutter arbeitete in Österreich als Bedienerin bei unterschiedlichen Unternehmen. Eben eine klassisch Gastarbeiterfamilie. Dabei hatte der Papa in der Türkei eine eigene Seidendeckenstickerei mit Angestellten betrieben. Ihm ging es gut. Nach Österreich kam er nur, weil ihm Verwandte den Floh ins Ohr gesetzt hatten, dass man hier so unglaublich gut verdiene. Das auch die Lebenserhaltungskosten sehr viel höher sind, hatte man ihm nicht gesagt.

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Video 2000 veränderte mein Leben

Als Kemal sieben Jahre alt war, kaufte der Papa um teures Geld einen Videorecorder. Video 2000. Ein einschneidendes Erlebnis in seinem Leben. Er sah jeden Film, der ihm in die Hände fiel. Als allerersten verschlang er Der Zauberer von OZ. Unzählige Male hat er ihn gesehen. Er hat ihn natürlich auch seiner Tochter vorgespielt, aber sie war bereits das Animationsniveau von Pixar-Produktionen etc gewohnt, und war von dem alten Schinken nicht ganz so beeindruckt. Aber etwas gruselig fand sie ihn schon. „Ich schaue eigentlich nie fern, sondern nur Filme und Serien. Und ich kann jeden Film mehrmals sehen. Meinen Lieblingsfilm Der Pate sehe ich mindestens einmal im Jahr. Und deswegen ist es mir auch so wichtig, dass ich meine Tochter filmtechnisch sehr fördere. Das ist ein wichtiger Teil unseres Lebens.“
Die Hühnerrücken sind fertig und Kemal deckt uns Teller und Besteck auf. Wir essen aber mit den Händen. Er erzählt uns, dass er seinen Vater nur einmal auf der Baustelle besucht hat. Hautnah bekam er damals mit wie die 25 jährigen selbstzufriedenen Poliere mit seinem schon älteren Vater herumsprangen. Als sei er kein Kollege sondern ein dummer Hilfshackler. Nicht zum Aushalten. Zum Auszucken. Überhaupt dieses Herabsehen auf einfache Leute findet er niederträchtig. „Meine Eltern haben ihr Leben lang immer hart gearbeitet und mit geringsten Mitteln ihre vier Kinder aufgezogen. Ich finde, das ist eine tolle Leistung. Viele Leute haben viel weniger fordernde Lebensläufe hingelegt und glauben sie sind wer.“

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Beim Fussball halte ich immer zur Türkei

Sein türkischer Background hat ihn sehr geprägt aber er sieht sich weder als Türke noch als Österreicher. Er will einfach er selbst sein. Auch in der Türkei ist er nur der österreichische Verwandte, der glaubt, was besseres zu sein und der lustig Türkisch spricht. Aber eines ist klar: Wenn Fussball gespielt wird, hält er immer zur Türkei. Keine Frage. (Anm. d. Red: Wäre ja auch masochistisch auf Österreich zu halten) Und seinen Beruf hat er auch quasi von seinem Vater übernommen. Dieser arbeitete auch in Österreich abends ein wenig als Seidendeckensticker. Als Kind sah Kemal ihm oft zu, wie er mit Kreide Ornamente auf Seide zeichnete. Heute ist Kemal Grafiker. Für die Zukunft hat er aber andere Pläne. Und zwar will er mehr seiner Mama nacheifern und sein Hobby zum Beruf machen. Und wir freuen uns, denn Wien braucht wirklich einen guten Sandwichladen! •

Tipp: Das Rezept zu Kemals Hühnerrücken findest du hier!

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