eine Kugel Erdbeereis

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quasi über Nacht knospen die Kastanienbäume vor meinen Fenstern, obwohl oder gerade weil das nicht der erste Frühling meines Lebens ist, ein Wunder. Ein bisschen ist es aber für mich schon der erste Frühling meines Lebens, meine Augen schauen die Welt neu an. Das Leben meint es doch gut mit mir, es führt mir solange vor, so deutlich, so nicht mehr negierbar, dass sogar ich verstehe, irgendwann und ich habe verstanden.

Es ist mein Leben, das einzige das ich habe und für vieles ist es zu schade, verschwendet zu sein. Es hat mich bis hier hin gebracht, der Glaube, du bist schlecht, du bist nicht liebenswert, du genügst nie, deine Abbgründe sind sichtbar, zu verhöhnen, dein seltsames Wesen

und ich wurde verhöhnt, je kleiner und hässlicher Innen und Außen ich mich fühlte, umso mehr Spott erntete ich. Gejagt und gehetzt wurde ich im Schulbus in meinem Jahren zwischen 12 und 15, sterben wollte ich dann zuhause. Der Spott war eine Sache, der Spott war die Bestätigung, dass alle es sehen, wie widerlich ich bin. Im Rückblick gesehen war das eine gefährliche Phase, damals sprach niemand über Depressionen, Suizidgefahr, wer hätte es auch sollen. Vor Kurzem sah ich ein Foto von mir aus dieser Zeit, ich hatte mich als fette Kugel in Erinnerung, was sehe ich auf diesem Foto, ein kindliches, ein bisschen rundliches, gelocktes immer noch Kínd, das in Wahrheit 5 Kilo über dem Normalgewicht hatte.

Damals durfte das nicht sein, heute freue ich mich darüber, dass Teenager freier sind, zumindest wirkt es so, kurze Röcke, enge Hosen, egal ob man Twiggy ist oder nicht, denn sie wissen nichts mehr von Twiggy, sie kennen natürlich Heidi Klum und den ganzen Modelwahnsinn aber irgendwas hat sich verändert.  In meiner Jugend hieß es verhülle dich und schäme dich.

Meine Mutter schämte sich für mich.

So fuhr ich mit ihr 6 Wochen im Sommer auf eine Fastenkur, 12 Jahre war ich alt, wäre ich 13 gewesen hätte ich auch die Darmspülungen über mich ergehen lassen müssen. Nackt und bloß stand ich vor diesem Arzt, ich, die ich mich so schämte für mich selbst, so empfinlich, scheu wie man es mit 12 ist, auch wenn man Twiggy sein sollte. Da ist zuviel, hier muss was w,g sein Urteil. also 6 Wochen lang Kräutertee und klare Gemüsebrühe, sonst nichts, Krtoffelsäcke zur Entgiftung wurden um 5 Uhr in der Früh auf meine Leber gelegt und in mir die Saat für die Jahre, die dann folgten. 12 Kilogramm nahm ich damals an Gewicht ab, an Gefühl für mich selbst aber, alles.

Ich sehe mich da sitzen in diesem „Speisesaal“ , ich war die einzige Person unter 20, nur ein circa 17 Jähriges Mädchen, knochenskelettdünn weinte fast über einer Schüssel voller Obersdurchtränktem Getreidebrei, sie wurde vom Gericht für zu dünn befunden und war zur Mast da, so war das in den 80 ern, Form kein Inhalt, Psyche dort ein Fremdwort, Magersucht? noch nie gehört.

So lernte ich, ich darf weinen und bedürftig sein, wenn ich dünn bin, ich werde ernährt, wenn ich dünn bin, meine Mutter ist stolz , wenn ich Knochen zeige, ich darf nicht essen, es könnte mich jemand sehen und es meiner Mutter erzählen, das passierte vor dieser Kur, als ich mir mit 11 eine Kugel Erdbeereis kaufte und man es meiner Mutter erzählte, ich bin enttäuscht von dir, dann brauchst du auch nicht traurig sein, ihre Reaktion,

das war das letzte Erdbeereis meines Lebens bisher.

Mit 22 Jahren wog ich 38 Kilogramm, schön und glücklich? Fehlanzeige, mein Stoffwechsel ist bis heute ruiniert, ich kann nicht viel essen, aber ich habe ein gesundes Maß gewonnen, jetzt, es ist nicht mehr Thema, aber es ist immer noch da, der verfremdete Blick auf mich selbst. Oft erkenne ich mich nicht, wenn ich an einer Scheibe mein Spiegelbild sehe, vor Photos habe ich immer noch ein wenig Angst, Angst sie könnten das fette Monster zeigen, als das ich mich solange wahrnahm.

Ich bin so froh, dass meine Tochter, die mit Ihren hormonellumtriebigen 13 Jahren auch ein bisschen kurvig ist, mehr für sich selber ist, als eine Kilogrammtabelle. Natürlich ist das manchmal Thema, es gibt langbeinige dünne Rehe in diesem Alter, kleine rundliche, so verschieden, wie die Formen der Blumen, die bald überall wieder blühen werden und sie, sie blüht.

Manchmal aber ertappe ich mich, dass Sätze sich in meinem Mund formen, die ich dann aber in diesem belasse, Sätze, die von ganz früh nicht meine Sätze sind, Eis ist nicht gut  FÜR DICH; DU WEISST SCHON WAS ICH MEINE; ODER???

Aber ich sage sie nicht. Ich kaufe keine Süßigkeiten, ich versuche gesund sie zu ernähren, aber ich versuche alles, dass es nicht Thema ist, dass es kein schlechtes Essen gibt,

dass Erdbeereis im Sonnenschein

für sie ein Stückchen Glück ist,

wo ein Stückchen Glück ist

da kommt noch vieles dazu,

Auch das Glück möchte sich nicht verbieten lassen

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