Charlotte Roche und ihr Neues – Schoßgebete!

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feuchtgebiete

Eine Analyse von Constanze Griessler

Analverkehr, Intimrasur, Hämorrhoiden und selbstverletzendes Verhalten

Das ist der Stoff, aus dem die „Feuchtgebiete“ gemacht waren, der Debutroman der ehemaligen VIVA und MTV Moderation Charlotte Roche. Queen of German Pop nannte sie der Godfather of late night, Harald Schmidt- unzählige Male war sie zu Gast bei ihm in Köln – im Studio 449, zu Zeiten, als Schmidt selbst noch Liebling des deutschen Feuilletons war.

http://youtu.be/6R7LWc3To9A

Quirlig, frech, Scheiß-drauf-Mentalität. Achselhaare zeigen? Ja, das war schon grenzüberschreitend was die sich da erlaubte, aber doch irgendwie süß und entzückend. SO hatte ein MTV-Girlie zu sein. Und nicht anders.

Dann kam Feuchtgebiete von Charlotte Roche

Der systematische Tabubruch mit 2 Millionen verkauften Exemplaren, ein umstrittenes Kultbuch für den Mainstream und der erste deutschsprachige Titel, der Platz 1 der internationalen Bestsellerliste von „amazon“ erreichte. Zu Gast bei Kerner, Stermann und Grissemann, Roche hatte ihre Rolle wieder brav erfüllt – diesmal die der frechen, jungen, sexpositiven Feministin, auf die sich irgendwie jeder einigen und mit der man Spaß haben konnte. Und die immer und immer wieder Antworten auf die vermeintlichen Ekel Passagen gegeben hat. In wenigen Rezensionen konnte man lesen, was das Buch wirklich war:    Eine unendlich traurige Innenschau einer 18-Jährigen, die die Trennung ihrer Eltern nicht verkraften kann und irgendwie versucht, mit ihrem Leben zurechtzukommen – inklusive erlösendem Happy End.

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Ein gesitteter Nachfolger?  

„Schoßgebete“ ist ein Bestseller auf Ansage, der nicht unwesentlich über das kommende Geschäftsjahr des Verlages entscheiden wird. Die Startauflage beträgt unglaubliche 500.000 Stück. Seit gestern sind alle Buchhandlungen und der Riese amazon ganz auf die Schoßgebete eingestellt.

Roche ist also nun erwachsen geworden. Es scheint, überhaupt auf den ersten Seiten, als hätte Helen Memel, der unkonventionelle Superstar aus den Feuchtgebieten nun eine Kleinfamilie gegründet. Doch der Schein trügt. Zwar beginnt der Roman mit einer genauen Anleitung zum perfekten Blow Job beim Ehemann- doch schon bald kommt die Bratpfanne, wie Roche es nennt, auf den Leser/die Leserin zugeknallt.

Der neue Roman ist die Geschichte der 33-Jährigen gutsituierten Elizabeth Kiehl, die mit Mann und Kind in einer deutschen Großstadt lebt. Schoßgebete erzählt von drei Tagen aus ihrem Leben.

Elizabeth ringt permanent mit Todestrieb, Selbstmordphantasien, dem immer wiederkehrenden Titten- Neid, Depression, Monogamie und dem medial aufgebauschten Klischee der happy Patchwork-Familie.

Der Roman ist vor allem aber Roches Liebeserklärung an ihre Psychoanalytikerin – obwohl diese abgeraten hat, das Buch zu veröffentlichen. Und auch eine Auseinandersetzung mit den Methoden der Erziehungsratgeber – Götter Jesper Juul oder Jan Uwe Rogge, denen so viele Mütter so blind vertrauen. (Beim Lesen kommt einem unweigerlich der Gedanke an das eine oder andere kreuzbrave Internet-Eltern-Forum.) Roche ist ein großer Fan der beiden. Und Elizabeth Kiehl, die Romanfigur, auch.

Roche bekennt in Interviews, dass sie gefangen  ist  in ihrem Perfektionswahn – nicht zuletzt beim Mutter sein. Alles  ist streng, kein Weichspüler wird benutzt, seit Jonathan Safran Froers Buch Tiere essen (Roche hat das Buch – Cover auf ihren Unterarm tätowiert) rührt die Familie kein Fleisch mehr an, vor dem Kind trinke man zu Hause ausschließlich Wasser – niemals Bier. Sie beschreibt (quälend) genau  die Methode, wie sie ihre Tochter zu Bett und schließlich zum Einschlafen bringt und ihr lehrt, wie sie im Haushalt mitzuhelfen habe.  Jede Mutter wird sich bei der einen oder anderen Szene wiedererkennen. Auf die Frage, ob ihr Kind Schoßgebete lesen wird dürfen, antwortete die Autorin kürzlich in einem TV-Interview sinngemäß:

Nein! Wenn mein Kind Schoßgebete liest, ist das schlimm, weil die dann denkt “ O Gott, meine Mama und nicht, und wie die will sterben? Und was die ist depressiv, das wusste ich gar nicht? Ja, kann die ja machen aber die muss alt genug sein und leider ist das ja bei Kindern so, dass die das dann woanders zu hören bekommt. Ich muss versuchen der immer kindgerecht, in dem Alter wo sie gerade ist zu erklären was ich eigentlich mache, was das soll. Ich kann das gut erklären und trotzdem könnte das so ein riesen Treppenwitz von diesem Buch sein, dass die irgendwann sagt “Mama, du bist so ekelhaft und warum hast du das gemacht und wieso lässt du das nicht in der Familie? Warum tust du uns das an? Das ist natürlich eine große Angst. Das ist wie so ein aggressiver Akt, dass man eigentlich schreibt, ohne Rücksicht auf Verluste .“

Es geht um das Fremd- und das Selbstbild einer Frau im 21. Jahrhundert, die trotzdem noch Heilige und Hure, Sexgöttin, Mutter und perfekte Tochter sein muss.

Das große Unglück und die Medien

Und die Verarbeitung eines Traumas,   über das sie mit dem Buch in eigenen Worten zum ersten Mal öffentlich spricht, nachdem sie zuvor zehn Jahre lang alle JournalistInnen verklagt hat, die darüber berichteten.

2001 kamen bei der Auto-Fahrt zu ihrer Hochzeit ihre drei Brüder ums Leben, die Mutter überlebte schwerstverletzt. Die BILD-Zeitung druckte ein Foto des Unfallwagens und habe damals versucht, sie zu einem Interview zu erpressen. Seitdem bekämpft sie das Boulevardblatt.

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Alices Schlafzimmerblick

Auch Feminismus spielt, wie auch in Roches Leben, in ihrem neuem Roman eine wichtige Rolle. Sie dekonstruiert nicht nur den ihr verhassten mütterlichen 70er Jahre Feminismus, auch „Alice, die Anführerin der deutschen Frauenbewegung“, die als mahnendes Emanzen-über-Ich im Schlafzimmer immer mit dabei ist.

alice

Wie Feuchtgebiete verhandelt auch Schoßgebete die postfeministische, selbstbestimmte Lust an Pornographie.
Elizabeth besucht mit ihrem Mann, der Ehehygiene halber, wie sie es im Roman nennt, Bordelle. Und abermals rätselt man: Autobiographie oder blühende Phantasie? Die Grenzen sind fließend und man weiß nicht, ob Roche genau weiß was sie tut, oder ob sie die Medienklaviatur perfekt spielen kann und alle tief betroffenen und sehr empathischen JournalistInnen, die den derzeitigen Interview – Marathon durchlaufen, einfach nur verarscht und dabei eine diebische Freude hat

Die Talkshows und Magazine der nächsten Wochen jedenfalls werden voll sein von La Roche, das ist schon mal sicher.

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