Im Talk mit Simplice!

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Dies ist die Geschichte eines Buben, der in Burundi in Ostafrika aufwuchs und in Wien landete, um hier Stand-Up-Comedy zu machen. Bekannt wurde er durch „Die große Comedy-Chance“ im ORF. Er kam dort auf die Bühne und verbreitete eine Energie wie ein amerikanischer Stand-Up-Comedian – wohl der einzige der KandidatInnen, der diesen Flow mitbrachte. Sein Thema: MigrantInnen in Wien und wie sie – auch miteinander – zurechtkommen.

kabarettist

Zum Beispiel demonstriert er anschaulich die abstrusen Situationen die entstehen können, wenn er mit seinem nicht ganz akzentfreiem Deutsch bei einem chinesischen Lieferservice Essen bestellt: Was soll dabei herauskommen, wenn die China-Dame in gebrochenem Deutsch nach der Adresse fragt und er versucht G-u-m-p-e-n-d-o-r-f-e-r-s-t-r-a-s-s-e mit der Gustav-Ulrich-Martha-Paula-Methode zu buchstabieren? Man kann sich in der Sekunde in den chaotischen Dialog hineinversetzen und muss ganz automatisch über die Ausweglosigkeit dieses Kommunikationsversuchs lachen.

Simplice kennt keine Tabus. Er kann über fast alles lachen und wenn man nichts zu lachen hat, dann sieht es echt übel aus im Leben, meint er. Übel sah es auch aus, als er mit zehn Jahren von einer Minute auf die andere sein Haus verlassen musste, von den Eltern ins Auto gesetzt wurde und sie ihre Heimat verließen. Er ist in Burundi aufgewachsen, einem der ärmsten Länder Afrikas.

Das Leben dort war sehr frei. Als Kind lief er den ganzen Tag herum, fischte, jagte und spielte, wie es ihm gefiel. Weniger gefiel ihm, dass es oft Watschen gab. Für seinen Vater waren Schläge ein legitimes Erziehungsmittel. Manchmal gab es davon auch einen Vorschuss. Simplice hat in Österreich gelernt, dass das nicht akzeptabel ist, und er würde seine Tochter nie schlagen. Auch das Schulsystem in Burundi war sehr streng. Französisches System. Und Simplice war nicht der bravste Schüler. Das ergab keine gute Kombi.

Simplice: In Afrika sind alle Schulen sehr streng. Damals wurden Kinder auch noch geschlagen. Das ist heute, glaube ich, nicht mehr so. Ich habe immer die Lehrer verarscht und bin oft zu spät gekommen. Manche Lehrer haben Spaß verstanden, aber viele nicht. Aber wenn man geschlagen wird und es aushält ohne zu weinen, dann stehen die Mädchen auf dich. Wenn du vor allen Leuten geschlagen wirst, dann giltst du als harter Typ.

Kindheit im Krieg

In Burundi herrschte damals Krieg. Im Krieg weiß man nie, was als nächstes geschieht. Von einer Sekunde zur anderen konnten sich Kämpfe auf ein weiteres Dorf ausweiten. Und plötzlich war der Krieg in seinem Dorf angekommen. Es wurde geschossen und es wurde lebensgefährlich. Sie flohen nur mit den Kleidern am Leib und konnten sich noch einige Zeit mit Erspartem über Wasser halten. Dann gingen die Eltern nach Österreich. Sie ließen Simplice in Afrika zurück. Er träumte dort intensiv von einem guten Leben in Europa, von großen Autos und tollen Wohnungen.

Mit 16 Jahren holten sie ihn dann nach. Eine Reise mit Hindernissen. Statt in Brüssel in den Anschlussflieger zu steigen, wurde er fest-
genommen, weil man seine Papiere für gefälscht hielt. Erst zwölf Stunden später setzten sie den 16jährigen Burschen in einen Flieger nach Zürich, von wo er weiter nach Wien fliegen sollte. Er hatte kein Handy, er hatte keine Münzen, er wusste nicht, wo er ein Telefon finden konnte, wusste nicht, wo sein Fluggate war und mit welchem Flugzeug er fliegen sollte. Sein Vater saß derweil in Schwechat am Flughafen, machte sich Sorgen und trank Bier. Simplice tat dann, was seine Mutter ihm immer geraten hatte: Fragen, fragen, fragen. So lange Menschen fragen, bis sich jemand findet, der einem hilft.

Erster Schnee und keine Limousine

Endlich im Flieger nach Wien sah er herab auf weiße Berge, weiße Felder, weiße Straßen. Sein Vater hatte ihm gesagt, er solle sich „warm“ anziehen. Simplice hatte keine Vorstellung davon, wie man sich warm anzieht. Er hatte also einen Pullover über das T-Shirt gezogen. In Ostafrika gilt das schon als „warm anziehen“. Das Weiß, auf das er herabsah war Schnee. Aber das wusste er noch nicht. Sein Vater hatte ihm öfter übers Telefon versucht zu erklären, wie Schnee aussieht, aber es war ihm nicht so recht gelungen. Simplice stellte sich Schnee als kleine Eiswürfel vor, die vom Himmel fielen. Den Schnee weit unter ihm, erkannte er nicht als solchen: „Wow, die haben aber viel Baumwolle in Europa!“, dachte er und war beeindruckt. Das er sich noch viel wärmer hätte anziehen sollen, verstand er aber spätestens als er in Schwechat in den Transferbus stieg.

So schaffte es Simplice, endlich nach Schwechat zu kommen und wurde vom mittlerweile etwas angetrunkenen Papa in die Arme geschlossen. Der wollte ihm einen Burger und Pommes ausgeben, aber Simplice wollte lieber ein Bier. Er war mittlerweile ein Teenager und kein Bub mehr. Das musste der erstaunte Papa einsehen. Dann führte ihn sein Vater runter zur U-Bahn und Simplice musste einsehen, dass nicht jeder in Europa einen großen BMW fährt. „Da hätte ich genausogut in Afrika bleiben können,“ dachte er sich insgeheim.

Aber er blieb. Er holte seinen Hauptschulabschluss in Linz nach und machte dann eine Lehre zum Elektrotechniker in Wien. Mit seiner Freundin (und Mutter von Leila) sollte er einige Jahre später aber tatsächlich wieder nach Afrika zurückkehren. Als Solarenergie-
monteur. Ein guter Job.

Simplice: Dann war ich dort sechs Monate und habe erkannt, dass ich mehr Europäer als Afrikaner bin. Ich will mich immer jeden Tag auf’s Neue selbst finden. Was mache ich gerne? Wie fühle ich mich wohl? Das ist ja ein Prozess, der nie aufhört im Leben. Rauszufinden, wer man ist. Damals dachte ich, vielleicht ist Afrika mein Zuhause. Aber dann war ich dort und es war doch nicht so.

Familie Rockt: Was hat dir gefehlt?

Simplice: Erstens ist mir dieses Sicherheitsgefühl, das man in Wien hat, abgegangen. Dass man überall herumlaufen kann und keine Angst haben muss, dass einem jemand was wegnimmt. In Burundi geht das nicht. Dort musst du immer aufpassen, was du sagst, mit wem du es zu tun hast, um welche Uhrzeit du auf die Straße gehst. Und viele Freunde haben gedacht: Ich komme aus Europa, ich habe viel Geld, ich habe eine weiße Frau, ich hab ein Auto und wollen was von dir. Und irgendwann bin ich draufgekommen, dass ich keine richtigen Freunde habe.

Simplice arbeitet heute für das AIDS-Hilfe-Haus in Wien. Er versucht, die afrikanische Community von der Notwendigkeit der Verhütung zu überzeugen. AIDS ist auch ein Thema in Burundi. 6 % der Be-
völkerung ist HIV-positiv. Und die weitverbreitete Prostitution macht AIDS auch heute noch zu einer Gefahr, obwohl der burundische Staat das Problem schon etwas in den Griff bekommen hat. Es arbeiten vor allem Frauen in der Prostitution – nicht, wie in anderen afrikanischen Staaten, auch Männer.

Simplice (lachend): Männliche Prostituierte werden vor allem von Touristinnen gekauft. In Burundi gibt es praktisch keinen Tourismus. Daher gibt es auch keine männliche Prostitution. Wenn sich das ändert, flieg ich zurück und verdiene viel Geld!

Familie Rockt: Warum ist AIDS in Afrika so ein Problem?

Simplice: Die AfrikanerInnen haben nicht so viel Angst vor dem Tod. Die denken nicht so viel an die Konsequenzen ihres Handelns. Das ist ihr Hauptproblem, glaube ich. Die Leute haben schon so viele Probleme, dass sie keine Zeit haben zu planen und zu über-
denken, was in der Zukunft noch so schief laufen kann. Es redet keiner über AIDS.

Wieder zurück in Wien fing er an, sich in der DJ-Szene zu bewegen, legte Ragga und Hip Hop auf und war viel unterwegs. Die Lust am Clubbing-Leben hat in den letzten Jahren nachgelassen. Seine Tochter Leila hat dazu beigetragen, aber auch das Älterwerden.

Simplice: Du bist dauernd unterwegs. Und auch wenn du nicht auflegst, musst du weggehen und mit den anderen DJ’s in Kontakt bleiben, präsent sein in der Szene, selber Veranstaltungen organi-
sieren – alles, damit du Gigs kriegst und voll mit dabei bist. Und es bringt trotzdem finanziell eigentlich nicht so viel, wenn man den Aufwand gegenrechnet. Und dann wird man auch noch älter und findet Clubbing und Party nicht mehr so lustig. Ich finde Kabarett viel interessanter und besser als aufzulegen.

Erziehung und Patchwork

Leila, Simplice’ Tochter, ist ein zweijähriges Lausmädchen, die stolz ihren Bauch herzeigt und beim Fotoshoot ihre Sonnenbrille nicht aufsetzen und nicht lachen will, und posieren will sie auch nicht – mitten im Trotzalter eben. Süß, stur und stolz darauf, dass sie eigene Sätze formulieren kann. Aber am Ende kriegen wir es doch hin. Ihre Mama versucht es mit Bestechung, was natürlich immer gut wirkt, und wir liegen jede Sekunde auf der Lauer, um kein Lächeln zu verpassen. Am Ende wird es richtig lustig und Leila zeigt sich kooperative. Mit der Mutter von Leila ist Simplice nicht mehr zusammen, aber er wünscht sich sehr, dass sie es mit dem Patchwork gut hinkriegen.

Simplice: „Wir wollten nicht nur zusammenbleiben, weil wir ein Kind miteinander haben. Das machen ja viele. Wir wollen aber trotzdem beide gut miteinander auskommen. Es geht ja nicht anders. Das muss man hinkriegen. Und man muss sich auch vorher überlegen, was das für ein Mensch ist, mit dem man ein Kind kriegt. Bevor wir ein Kind gemacht haben, war mir klar: Sie ist keine Frau, die mir nach einer Trennung das Kind vorenthält.“

Kindererziehung ist für ihn nicht gleichzusetzen mit einem Lebensplan, der im Vorhinein entworfen wird. Ein Kind soll sich selber entwickeln, und das Eigenleben der Eltern darf nicht aufhören, nur weil ein Kind da ist. Da braucht man nicht so einen Wirbel drum machen. Die Eltern sorgen für gute Rahmenbedingungen, aber die Kinder sind eigene Persönlichkeiten, die nicht dauernd von außen bespaßt werden müssen.

Simplice wollte immer Stand-Up-Comedian werden. Aber es lag die Erwartung seiner Eltern auf ihm, einen „anständigen Beruf“ auszuüben. Mittlerweile sind zwei ihrer Kinder im Showbiz. Simplice’s Bruder ist als Rapper Ösibua ziemlich erfolgreich. Simplice will es unbedingt als Stand-Up-Comedian schaffen. Er will Late-Night-Shows drehen und richtig gut werden als Unter-
halter. Er hat erst vor eineinhalb Jahren damit angefangen und hat noch viel zu lernen. „Die große Comedy-Chance“ war ein toller Startschuss, aber leider gibt es in Österreich keine Nachwuchs-
förderung und die Unterhaltungsszene ist nicht interessiert an neuen Inputs. Simplice war Drittplatzierter der Show. Sogar der Gewinner tritt heute vor nur 30 Leuten auf. Die Chance war also nicht so groß. Simplice will jetzt die unbekannten Talente zusammentrommeln und gemeinsam selber Gigs organisieren.

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Familie Rockt: Grüßen sich Schwarze auf der Straße immer?

Simplice: Hier geht man stundenlang auf der Straße und sieht kein einziges schwarzes Gesicht. Und dann biegt plötzlich jemand um die Ecke und man grüßt automatisch. Dann geht man weiter und sieht wieder stundenlang niemanden. Aber letztens war ich in Kanada und gehe auf er Straße und sehe einen Schwarzen und grüße ihn. Er grüßt zurück. Etwas weniger motiviert als ich. Dann gehe ich weiter und da stehen wieder zwei Schwarze und ich grüße sie. Und dann kommen noch 2 und noch einer und noch welche. Und ich denke mir, oh so viele und grüße alle und die schauen mich komisch an. Haha. Hab eine Weile gebraucht bis ich mir das wieder abgewöhnt habe!

Familie Rockt: Hast du Angst, alt zu werden?“

Simplice: Nein, aber ich will nicht alt und unzufrieden werden. Ich will meine Träume verwirklichen. Zumindest versuchen. Ich bereue, dass ich so lange gewartet habe mit dem Kabarett. Ich habe immer versucht, mich der Gesellschaft anzupassen. Was würden sich die Leute denken, wenn ich sage, dass ich Kabarett machen will? Das habe ich mich immer ängstlich gefragt. Ich habe erst damit angefangen, als es mit meiner Freundin aus war. Denn was sollte sie denken? Da hast du einen Mann und ein Kind, und plötzlich kommt er und sagt, er möchte Kabarett machen? Are you crazy? Ich hatte große Angst, dass sie so denkt.

So viele Jahre habe ich dadurch verloren. Wie weit wäre ich jetzt, wenn ich schon früher angefangen hätte? Ich habe mit Stand-Up-Comedy angefangen, weil ich sonst meine Achtung vor mir selbst verloren hätte.

Interview: Patrice Fuchs

Fotos: Elsa Mährenbach

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