Sisyphus

1

Allgemeiner Schneefrust beginnt auch schon mich selbst zu fadisieren, aber ich bin mies drauf, ich friere nicht gern.

Wer tut das schon, ich kann das Wintergewand nicht mehr sehen, die Schuhe wollte ich schon vor zwei Wochen einmotten,

mit diesen weinerlich, verweichlichten Gedanken trabe ich am Morgen am MAK vorbei, nachdem ich wieder einmal die Ubahngesellschft verfluchte, aber eben,

ich bin auch grad nicht der Bringer des Frühlingserwachens,
stapfe durch den Schnee.

Im Wartehäuschen liegt ein Paar, nicht verliebt umschlungen, sondern sich schlicht wärmen wollenend, unter Decken und Plastik.

Ich schaue der Frau ins Gesicht, registriere ihren grauen Dutt, sehe den Ausdruck ihrer Augen, auf einer Bank weiter sitzt ein Mann, erst beim Näherkommen erkenne ich ihn als solchen unter dem Berg filziggefrorener Wolle.

Die Ampel ist rot, ein Mann mit silbernem Skihelm, Moonboots schiebt einen überbeladenen Gepäckwagen über die Schneehügel, manövriert Richtung Hilton, dreht um, zurück, dreht um,
zurück.

Er irritiert mich, ich weiß nicht was er da tut, vermute eine Trendsportart hinter seinem Helm, er könnte soeben von einer langen Reise zurück sein, zwischen Nepal und Goa.

Ich rutsche fast aus im Backwarengeschäft, kaufe mir den täglichen Joghurt und bin im Büro, schimpfe mit über die kalte Zugluft,
sehe immer wieder die großen, wachen Augen der obdachlosen Frau vor mir, deren Alter nicht zu schätzen ist,
in ihrem Blick lag bewahrte Würde,

maße ich mir an zu interpretieren.

Hole mir zwei, drei Kaffees mit Milchschaum frisch vom Áutomaten, esse ganz stoisch, mich kasteiend die aufgequollene Haferkleie und verstehe den ganzen Tag Menschen, die wirklich wirklich! verärgert sind, weil etwas zu spät kam, gar nicht kam oder nass war,

als sei es das wichtigste der Welt.

Es geht nur um eine Zeitung, es hat nur in Massen geschneit, aber MEINE Zeitung muss geschützt sein trocken, bitte in Zelophan gewickelt…
höhere Gewalt durch einen Massenunfall?

DAS IST NICHT MEIN PROBlEM, DA MÜSSEN SIE FÜR ERSATZ SORGEN!

Ich sorge, ich nehme ernst, ich übernehme Verantwortung, ich bedaure, ich entschuldige mich, ich verstehe, ich bleibe in Kontakt, ich versuche zu beruhigen,

ich muss?

Beim Verlassen des Büros knallt genau neben mir eine Eisplatte vom Dach des Bahnhof Mitte auf ein Auto,
ich erschrecke, ich zittere,
ich bin noch einmal davon gekommen.

Am Weg zurück warte ich auf den 2er, da sehe ich den Gepäckwagen und den, der ihn schiebt.
Jetzt ohne Helm und ohne dicke Jacke mit den selben lauten Worten lenkt er die sperrige Last hin und her.

Ob er das den ganzen Tag tat?

Ist es das Einzige, das ihn beruhigt und beunruhigt zugleich, sein letzter Besitz, seine Last, die er nirgendwo hinbrigen kann,

die ihn nicht ruhen lässt?

Wie Sisyphus,
er wendet so viel Kraft auf, er scheint getrieben durch einen inneren Auftrag, militärisch, Apellhaft

er kann nicht desertieren.

Es macht mich traurig,
vielleicht ist Traurigkeit ein Luxus, der ihm nie vergönnt ist,

Traurigkeit ist ruhig und still.

Er schiebt und schiebt die Dinge vor sich her, er kann sie nicht loswerden, er hängt daran, was wäre ohne seine Koffer und Taschen,
ohne seine Last,
ist darin gar nichts verborgen?

Verharrt er darin bis zur Erschöpfung,
stoppt ihn irgendwer?
Ist es Jemandens Recht ihn zu hindern?

IST ES MEIN PROBLEM?

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Ein Kommentar

  1. klingelfee on

    ich glaube nicht, dass Traurigkeit ein Luxus ist, aber die Interpretation ihrer und die Zeit die ihr gegeben wird. Und wenn man/frau darüber nachdenkt, wie traurig etwas ist, wie aussichtslos ist es gut möglich einfach verrückt zu werden und nie wieder aus der Traurigkeit heraus zu kommen.
    Aber hej, HEUTE SCHEINT DIE SONNE

    Des Weiteren, die Zeitung liegt immer tippitoppi vor meiner Tür

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