Erschöpfungssyndrom

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Seit 2007 steigt in Schweden die Anzahl der Erschöpfungssyndrom – Diagnosen rasant an. Vor allem bei jungen Menschen. Am meisten bei jungen Frauen. Betroffen sind allen voran ehrgeizige Frauen, die sich selbst viel abverlangen.

Und plötzlich war die Luft raus. Um einmal kurz aus dem Haus zu gehen muss sie tagelang voraus Kraft schöpfen. Linda, die ambitionierte Kosmetikerin in Ausbildung, war immer voller Energie und Pläne. Sie kann hervorragend zeichnen, ist fleissig in der Schule, quirlig, intelligent und mitreißend. Ihr Traum ist es einen eigenes Kosmetikstudio zu eröffnen. Doch das Erschöpfungssyndrom wird ihr Leben vollkommen sabotieren.

Als der Matura-Termin sich nähert, rollt ohne Vorwarnung die Erschöpfung über sie. Eine unendliche Müdigkeit hält sie gefangen. Egal, wie lange sie schläft, die Energie kehrt nicht zurück. Sie ist traurig, weint viel, schafft nichts. Und sie geniert sich. Sie will nicht diese Person sein, die nichts mehr bewältigt: „Das sollte eigentlich die beste Phase meines Lebens sein“. Schule, Partys, Erwachsen werden, ihren eigenen Weg gehen….Ihre Träume landen in der Sackgasse.

4 Tage muss sie sich im Voraus ausruhen, um zumindest 1-2 Stunden auf die Party ihrer besten Freundin zu gehen. Nachdem sie sich geschminkt und feierlich gekleidet hat, verlässt sie trotzdem alle Kraft und sie muss den Partyabend absagen. Sie kann sich kaum mehr ins Bett schleppen.

Ein Erschöpfungssyndrom stellt sich ein, wenn Menschen sehr lange mehr Energie verbrauchen, als sie haben. Keine Warnglocken läuten. Die Betroffenen spüren nicht, wie die Reserven ausgehen. Und wenn einmal die ganze Energie weg ist, dann kann sie nicht ohne weiters nachgeladen werden.

Und nachdem die Betroffenen jeden Funken Energie sofort wieder verbrauchen um möglichst schnell wieder zurück zu ihrem alten Zustand zu finden, bleiben sie im Erschöpfungszustand gefangen.

ForscherInnen schlagen Alarm

Es sind immer mehr Menschen, vom Erschöpfungssyndrom betroffen. Die Anzahl junger Menschen, die enormen Stress empfinden, hat sich in den letzten 20 Jahren von 7% auf 14% verdoppelt.

Enorme Kosten kommen auf das Gesundheitssystem zu. Viele, vor allem junge Menschen, werden am Beginn ihres Erwachsenenseins einen herben biografischen Schlag erleiden. Um aus der Erschöpfung rauszufinden, braucht es manchmal Jahre.

Die WissenschafterInnen gehen davon aus, dass soziale Medien eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielen. Junge Menschen folgen täglich vielen Accounts, die von Glück, Erfolg und Zufriedenheit nur so strotzen. Um ein „gelungener“ Mensch zu sein, muss ihnen scheinbar unmenschliches gelingen. Ein Leben voller Aktivität, Energie und hohen Zielen und aufregenden Peaks wird als Mainstream verkauft.

Wer wenig Lebenserfahrung hat, kann seine eigene Kraft schwer einschätzen und auch schwerer erkennen, dass Influencer einerseits oft durch Agenturen gepusht werden und deswegen so erfolgreich sind und andererseits sehr viel faken um glamourösen Content zu bieten.

Ein Foto mit einem Promi ist oft nicht, wie es scheint, bei einem persönlichen Date entstanden, sondern im Rahmen einer öffentlichen Autogrammstunde. Die vielen FollowerInnen wurden nicht nur durch magische Strahlkraft angezogen, sondern wurden über eine App gekauft. Die perfekten Haare wurden nicht vom Star-Friseur gezaubert, sondern von eigener Hand im eigenen unspektakulärem Badezimmer gelockt. Nach dem lächelnden, überglücklichem Smiley auf der PR-Veranstaltung macht sich Fadess auf dem Gesicht breit und nach dem enthusiastischem Abendessen-Foto mit den besten Freunden, wird gestritten.

Doch das alles bleibt im Dunkel und pusht die Erwartungen junger Menschen an ihr eigenes Leben unnatürlich hoch.

Symtompe Erschöpfungssyndrom

Von Konzentrations- bis zu Orientierungsstörungen werden alle Alltagsfähigkeiten runtergefahren. Betroffene finden nicht mehr heim, sie vergessen Namen von guten Freunden, fühlen sich so schwach, dass sie auch kurze Strecken nicht aufrecht gehen können. Schon Duschen wird zu einem überforderndem Projekt.

Hirnforscherin Marie Åsberg meint, dass bei vielen Betroffenen eine vollkommene Heilung nicht erreicht werden kann. Das Erschöpfungssyndrom wird als Hirnkrankheit klassifiziert und ist noch wenig erforscht. Chronischer Stress schadet dem Gehirn jedenfalls nachhaltig.

Männer sind seltener betroffen, aber gleichzeitig erhalten sie auch seltener eine Diagnose, wenn sie betroffen sind.

Vor allem Sozial- und Pflegeberufe sind Branchen, die häufiger Erschöpfungssyndrome beim Personal hervorbringen. Auch Männer, die in diesen Branchen arbeiten, erkranken öfter daran, als Männer aus anderen Branchen.

The superwomen syndrome

Frauen sind dazu noch öfter doppelbelastet. Auch wenn ihre Partner im Haushalt und mit den Kindern Verantwortung übernehmen, sind es meist die Frauen, die die Rolle als „Projektleiterin“ einnehmen. Sie sorgen dafür, dass vorausgeplant wird und zu Ende geführt wird. Sie übernehmen die Hauptverantwortung.

Viktoria Blom, ForscherIn am Karolinska Institut greift den Begriff „the superwomen Syndrom“ aus den 70er Jahren auf. Eine erfolgreiche Karriere und Mutterschaft unterm Hut zu bringen war damals erstmals Trend. Sich zu stressen war „in“.

Heute ist das Ideal der supererfolgreichen, glücklichen, gut aussehenden Superwomen wieder voll da. Blom erkennt außerdem einen Zusammenhang zwischen Erkrankung und geringem Selbstvertrauen. Die jungen Frauen wollen sich durch viel Leistung ein besseres Selbstvertrauen erarbeiten. Wenn die Erschöpfung die ersten Misserfolge mit sich bringt, versetzt das dem eh schon sprödem Selbstvertrauen schmerzhafte Schläge. Die Enttäuschung ist groß, der Selbstwert wackelt und die Forderungen werden höher. Damit steigt auch der Stress. Es entsteht ein Teufelskreislauf.

Erholung in Etappen

Linda hat 1 Jahr später ihre Erschöpfung fast überwunden. Erst als sie einsah, dass sie wirklich Ruhe braucht und nicht über Nacht wieder hergestellt sein würde, konnte sie langsam wieder die Batterien laden. Sie hat gelernt, dass sie haushalten muss mit ihrer Kraft. Die Matura hat sie geschafft und auf der Maturaparty tanzt sie zum ersten Mal wieder bis halb 2 in der Früh. Sie ist wieder eine glückliche, tüchtige junge Frau – wenn auch ohne Superkräften.

Fotos stammen aus der „uppdrag granskning“ Dokumentation zum Thema Erschöpfungssyndrom vom schwedischen public service SVT.

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