Warum träumen wir sinnloses Zeug?

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Traumdeutung

Ich streife mit meinem kleinen Hund durch den Wald rund um unserer Sommerhütte. Am Hügel vor mir erscheint plötzlich ein Golden Retriever. Er hält den Kopf gesenkt und beobachtet uns. Von der Seite weiter vorne steigt ein weiterer Hund aus dem Gestrüpp. Braun und groß mit sportlicher Statur. Mein kleiner weißer Schoß-Hund sieht beide an und überlegt ob er zur Begrüßung hinlaufen soll. Da merke ich, dass rund um uns, in 50 bis 100 Meter Abstand, mindestens 50 Hunde stehen und unseren Schritten folgen. Sie sind dünn, wild und aufmerksam. Ich greife meinen kleinen Hund und hebe ihn hoch, gehe wieder zurück zur Hütte. Ich habe Angst, weil mein Hund klein und naiv ist. Ich merke, dass auch er Angst hat. Die Stimmung ist bedrohlich und eiskalt. Ich gehe zu unserem Nachbar um ihn zu begrüßen. Die Hunde sind zurückgeblieben und plötzlich keine Bedrohung mehr. Ich habe den Nachbarn seit 1 Jahr nicht gesehen.  Er hat mir vorher grad eine nette Nachricht geschrieben. Ich klopfe an. Aber es macht niemand auf. Ich schau mich im Garten um. Das Auto steht nicht vorm Haus und alles wirkt verbarrikadiert. Er ist offensichtlich nicht da. Offensichtlich ist er schon länger nicht da. Ich habe ein beklemmendes Gefühl.

Träume sind unlogisch. Eine Handlung kann aufkommen und jederzeit wieder abreissen. Verhältnisse können sehr präzise erlebt werden und trotzdem fehlen immer wichtige Details. Wir surfen zum Beispiel im Traum nie am Handy, weil wir im Traum keine kleinen Buchstaben lesen können. Auch wenn wir unter hohem Zeitdruck stehen, wissen wir im Traum meistens nicht wie spät es exakt ist. Starke Gefühle und wenig Fakten. Manches kommt uns sehr vertraut vor, anderes passt überhaupt nicht zusammen.

Im Traum passieren dauernd unberechenbare Dinge. Menschen sind nicht wie wir sie kennen, wir haben Affären mit Menschen, die wir nie attraktiv gefunden haben, wir haben starke Sehnsüchte, die uns vollkommen neu sind und lösen Probleme, die uns im echten Leben nie interessiert haben.

Verschiedene Theorien warum wir träumen

Um unser Träume-Chaos zu ordnen, analysieren und deuten wir sie gerne. Laut Freud, sind alle Personen im Traum immer auch ein Anteil unserer selbst und alles was passiert, entspricht bewussten oder unbewussten Wünschen.

PsychologInnen und auch Neurologinnen gehen davon aus, dass wir träumen um Gefühle zu verarbeiten und um sie einzuordnen. Durch die Traumarbeit können Erinnerungen geformt und verfestigt werden.

Träume sollen nicht ordnen, sondern herausfordern

Erik Hoel hat aktuell eine neue Erklärung für unsere unsinnigen Träume entwickelt. Sie sollen unsere Gedanken und Gefühle nicht ordnen, sondern im Gegenteil: Jede Ordnung übern Haufen werfen, jede Situation durch komplett freie Assoziation ganz neu gestalten, gewichten und erlebbar machen. Einsame Orte werden plötzlich nicht bedrohlich sondern spirituell erlebt, Familienmitglieder verhalten sich wie Fremde, Strassen verbiegen sich und fliegen wird möglich, und plötzlich nicht mehr und man fällt und fällt und fällt…

Seiner Theorie nach garantieren Träume, dass unsere Gedanken, Analysen und unser Verhalten flexibel bleiben. Im Laufe des Lebens kann sich alles ändern. Von einem Moment auf den anderen. Unfälle, Krankheiten, Verliebtheit, unerwartete Optionen… Wir brauchen Übung darin auf Unerwartetes zu reagieren. Wir brauchen auch Übung darin unsere Meinung zu ändern, uns anzupassen, achtsam zu bleiben oder Neues zu probieren. Das Hirn führt uns im Schlaf durch ein Art Flexibilitäts-Training.

Und was haben Träume mit künstlicher Intelligenz gemeinsam?

Künstliche Intelligenz braucht große Mengen an Daten um gut zu funktionieren. Daher füttert man eine KI (Künstliche Intelligenz) die Katzen erkennen soll mit tausenden Bildern von Katzen, damit sie richtig gut darin wird Katzen zu erkennen. Es kann aber leicht passieren, dass die KI exakt die gezeigten Bilder memoriert und nicht die Katzen als generalisiertes Motiv. Die KI ist dann „überangepasst“ und erkennt keine Katze auf anderen, leicht abweichenden, Bildern.

ProgrammiererInnen lösen dieses Problem indem sie den KIs zwischendurch Lernbilder zeigen, die teilweise abgeschnitten oder unscharf sind. Dadurch lernt die Künstliche Intelligenz auch aus einer unvollständigen Darstellung die Katze rauszulesen.

Träume erfüllen, nach Hoel, eine ähnliche Funktion für unsere Gehirn. Unsinnige und merkwürdige Trauminhalte halten uns davon ab, uns zu stark der Welt anzupassen, wie wir sie kennen.

Die meisten Organismen leben ein eintöniges gleichförmiges Leben. Wenn ihre Gehirne sich zu stark ihrem  Milieu anpassen, können sie keine neuen Erkenntnisse sammeln und sich weiterentwickeln.

Die Pointe des Traums liegt weniger in der Botschaft einer wirren Traumhandlung, sondern im Durchleben von unwahrscheinlichen Szenarien.

Am nächsten Tag wachen wir oft mit einem starken emotionalen Nachgeschmack auf, der uns zum Nachdenken bringt und unser Seelenleben beeinflusst.

Wie überangepasst sind wir? 

Obwohl ich nichts mehr liebe, als am Anfang einer Reise zu stehen und neue Erfahrungen zu machen, schleicht sich immer die Routine in mein Leben und immer wieder greife ich selbst zu zurechtgelegten Strategien. Das geht so weit, dass ich mir selber dabei zuhöre, wie ich zum x-ten Mal eine erprobte Antwort gebe. Aber ich fühle nichts mehr dabei, wenn ich sie formuliere. Meine eigene Pointe nervt mich.

Um aus den eigenen Wiederholungen auszubrechen braucht man Freiheit im Kopf für ungeteste Standpunkte und Bewertungen. In anderer Umgebung, ohne Routine, mischen wir unsere Gedanken neu. Im Urlaub kommen uns neue Ideen und entstehen neue Ziele. In den 60er Jahren nahmen viele IT-EntwicklerInnen LSD um ihr Bewusstsein zu erweitern und neue Lösungen zu finden. Ein Gespräch mit einer unbekannten Person kann der Auslöser sein, um wichtige Lebensentscheidungen zu treffen.

Menschen, die es lange Zeit nicht schaffen ihr Leben neu zu gestalten, bekommen häufig, was man geläufig einen Burn Out nennt. Keine Therapie kann Burn Out heilen, so lange man sein Leben nicht radikal ändert.

Was wäre wenn…?

Träume helfen uns jede Nacht dabei ganz neue Gefühle und Interpretationen auszutesten. Auf einerseits sehr deutliche und gleichzeitig sehr subtile Art. Man wacht nie mit Gefühlen aus einem Traum auf, die sich „gewöhnlich“ anfühlen. Es sind immer Gefühle die intensiv und unklar sind, die man sortieren und einzuordnen will. Das trainiert unser emotionales Register.

Was wollten mir die bedrohlichen Hunde und der abwesende Nachbarn sagen?

träume

Warum die beobachtenden Traum-Hunde im Wald gekommen sind, weiß ich nicht, aber sie haben eine warnende Wirkung auf mich. Unser Minimalteser bewegt sich wie es ein süßer Schoßhund in der Stadt eben tut. Herzig und besonnen. Wenn wir in die Hütte fahren wird er wieder durch den Wald laufen, wo es Füchse, Biber und Wildkatzen gibt. Ich muss also in den Hunde-Wach-Modus wechseln. Er ist potenzielles Futter für Wildtiere. Er ist weniger wehrhaft als ein Hase. Danke dafür, Traum!

Und was ist mit meinem Nachbar? Er war im echten Leben schon einmal länger weg und ist dann zurückgekehrt. Altbekannte Nachbarn geben Sicherheit. Sie schauen auf deine Hütte, wenn du nicht da bist. Sie kommen auf einen Kaffee vorbei und erzählen, was in der Nachbarschaft passiert ist. Sie werden gemeinsam mit dir alt.

Aber auch sie können verschwinden. Manchmal unvorhersehbar. Damit müssen wir immer ein Stück weit rechnen. Ich kann ihn ja nicht aufhalten, sollte er weiterziehen wollen. Ich werde dieses Jahr mit einem anderen Gefühl zum Nachbar gehen um ihn zu begrüßen.

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