Der Kinderwagen – Vom Gebrauchsgegenstand zum Kultobjekt

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Der Kinderwagen ist zum Statussymbol der Nullerjahre geworden.

Technologien aus der Raumfahrt kommen zum Einsatz und dem Design sieht man an, dass sich auch die werdenden Väter angesprochen fühlen sollen. Kinderwägen dürfen heute ruhig  was kosten. KonsumentInnen sind durchaus bereit bis zu 1000‚¬ für einen schicken Wagen zu zahlen. Auch Haushalte mit wenig Einkommen leisten sich hochpreisige Kinderwägen und erwarten sich Lebensgefühl und Qualität. Testberichte fallen hingegen eher ernüchternd aus.

Bugaboo Cameleon, Brio Go, Emmaljunga, Teutonia bis hin zum Seed Pli

Der Renner unter den Luxuskinderwägen ist natürlich der Bugaboo Cameleon. Sah man vor fünf Jahren vor allem `Bobo-Eltern‘ den farbenfrohen Bugaboo durch den Augarten schieben, ist das Lifestyle-Tool nun auch in ArbeiterInnen-Bezirken wie Kagran oder Simmering zum Selbstläufer geworden.

Eines haben die Bugaboo-BenützerInnen aber gemeinsam: Sie sind meist, auch über Jahre hinweg, sehr zufrieden mit ihrem Wagen. Der Bugaboo sei ungewöhnlich leicht, schmal, gut verarbeitet und sehe auch noch sensationell aus. Der stolze Preis von rund 900‚¬ sei daher absolut gerechtfertigt.

Laut Stiftung Warentest ist diese Meinung empirisch nicht ganz haltbar. Der Bugaboo Cameleon gehört zwar zu den Erstplatzierten, erhält aber gleichwohl nur die bescheidene Note 3,2. Dafür kostet er locker das Doppelte wie leichte, schmale und gut verarbeitete Kinderwägen, die vielleicht weniger sensationell aussehen.

Stiftung Warentest bemängelt am Bugaboo die mühsame Erstmontage, die Prellungsgefahr beim Lösen der Handbremse, die zu geringe Haltbarkeit des Schwenkschiebers und den zu kleinen Sitzkorb. Etwas größere Kinder haben darin kaum Bewegungsfreiheit. Die Räder laufen zwar rund, aber nur auf glatten Wegen.

Geht es nach oben genanntem Testbericht macht man sich aber vergeblich auf die Suche nach dem perfekten Modell. Kein einziger 2009 getesteter Wagen in den Kategorien Klassischer Kinderwagen, Kombiwagen, Sportwagen, Buggy und Jogger erhielt die Note Sehr Gut im Hinblick auf Schadstoffbelastung, Handhabe, Sicherheit, Preis und kindgerechte Gestaltung.

Hauptproblem aller Wägen, inklusive dem Bugaboo, sind schädliche Substanzen, die über das Material abgeben werden. In vielen Fällen in einem so hohen Ausmaß, dass sie glatt durch den Test fielen.10 von 14 Kombiwägen schnitten mit `mangelhaft‘ ab!

Auch der schwedische Kinderwagen Brio Go fiel unter die Testverlierer: Zu viel Schadstoffe in den Gurt-Pölstern. Brio reagierte sofort und veranlasste einen Gratis-Austausch der Gurte. Mit verträglichen Ersatzgurten wäre der Brio Go immerhin auf eine Gesamtnote von 2,4 gekommen.

Wie auch immer. Ein Ranking allein sollte nicht die Grundlage für die Kaufentscheidung sein. Welcher Wagen passt längerfristig zur Lebensführung der Familie? Welche Wege wird man voraussichtlich befahren? Für das Cruisen auf glatten Straßen und Gehwegen über kürzere Distanzen eignen sich kleine schwenkbare Räder. Sie ermöglichen einen extrem beweglichen Radius, der vor allem im Supermarkt oder in anderen engen Räumlichkeiten von Vorteil ist.

Als Kontrastprogramm zum Citywagen gelten Kombiwägen mit vier gleich großen fixen Rädern. Sie sind meist schwerer gebaut und verfügen über geräumigere Wannen und Sitzkörbe und können als die Limousinen unter den Kinderwägen bezeichnet werden. Die großen Räder sind gut gefedert, fahren über Asphalt ähnlich komfortabel wie über holpriges Gelände und kommen selbst auf kurvenreichen Straßen nicht ins Schleudern. Man könne sich `nebenbei die Nägel lackieren‘ drückte es einmal eine Bloggerin aus. Und es stimmt. Diese Wägen fahren so gut wie von selbst.

Wer also, ausgedehnte Spaziergänge liebt vielleicht sogar in der Natur und ein geräumiges Auto hat sollte einen klassischen robusten Kinderwagen wählen.

Buggies sind hingegen absolute Stadtgefährte und nicht von Anfang an zu empfehlen. Die meisten ermöglichen dem Nachwuchs zwar Liege- und Sitzposition jedoch keine richtige Wanne. Somit sind sie für Kinder ab einem Jahr bis hin zu  drei bis  vier Jahren gut geeignet. Mit durchschnittlich 300‚¬ ist man dabei.

In den Emmaljunga Nitro City passen Babies sogar schon ab einem halben Jahr. Laut Testbericht regnet es zwar durch den Regenschutz, aber dafür hat man mit einem sehr leichten Wagen mit sicherer Handhabung und angenehmer Haptik zu rechnen, wofür man ihm auch die Gesamtnote Befriedigend gibt.

Unabhängiger Test mit selektiven Kategorien? Ist das Ergebnis der Stiftung Warentest hinterfragbar? Kritik gibt es vor allem hinsichtlich der Verhältnismäßigkeiten bei der Schadstoff-Bewertung der Modelle. Diese sei hanebüchen, da die meisten Schadstoffe sich ohnehin nur in Griffen oder Einzelteilen befinden würden mit denen die Kinder kaum in Berührung kommen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum der Vertrieb von solch gesundheitsgefährdenden Kinderwägen nicht behördlich verboten wird? Die Hersteller haben die gesetzlichen Normen eingehalten. Sind nun die Normen zu großzügig oder ist die Gefahr nun doch nicht so groß?

Die Tatsache, dass sich nun auch bei den Testsiegermodellen Schadstoffe an diesen Stellen finden, rückt Sieger und Verlierer ein Stück näher zusammen und den Qualitätsvergleich in der Praxis in eine ganz neue Perspektive.

Jedenfalls gilt: Ob  wir längerfristig mit einem Kinderwagen glücklich werden oder nicht, hängt oft nicht nur von der Handhabung, sondern auch von der Opitk ab. Beim Kinderwagentest der Stiftung Warentest spielte die Kategorie `Design‘ in der Wertung keine Rolle. Ein großer Kritikpunkt, da beim Kauf eines Kinderwagens der Stylefaktor  oft den finalen Impuls gibt. Kein Wunder: Bei einem Gebrauchsgegenstand der uns täglich und über viele Jahre begleitet ist Design keine verzichtbare Nebensache. Im deutschsprachigem  Raum wurde  Design bisher  als relativ vernachlässigbare Kulturleistung gesehen.

Doch das ändert sich – nicht zuletzt durch die Nachfrage der KonsumentInnen.  Dieses Phänomen kann nicht ausschließlich auf das Verlangen nach einem Statusobjekt zurück geführt werden. Wir brauchen eben schöne Gegenstände um uns. Wir wollen nicht in einer designlosen Zone leben.

Ein guter Beleg dafür ist eben  die Preisgestaltung der beiden Testsieger. Der Teutonia Mistral S erreichte dieselbe Gesamtnote wie der Bugaboo und kostet nur 550‚¬. Vom Finish her ist der Mistral durchaus modern und zeitgemäß, aber eben nicht so bahnbrechend wie der Bugaboo.

Viele spannende Kinderwägen wurden  beim Test vom Herbst 2009 nicht berücksichtigt. Der Emmaljunga Spider, der Odder  Victory, der Musty 4rider, der Firstwheel City Elite oder der spacige Seed Pli waren beispielsweise keine Testkandidaten.Sie bekommen ihre Chance vielleicht 2010. Außerdem kann man auf neue interessante Modelle hoffen.  Das Geschäft mit den Kinderwägen boomt, der Verdrängungswettbewerb hat eingesetzt und die Innovationsspirale dreht sich.

Wem das Getue rund um den hippsten Kinderwagen zu stressig ist, kauft sich einfach ein gebrauchtes 2009er-Modell und spart sich auch noch Geld oder noch besser: Man grabt im Keller der Großeltern ein altes 60er Jahre-Trum aus. Diese wuchtigen Straßenkreuzer mit viel Chrom und pastelligen Farbkontrasten, haben vom Kultfaktor her den Bugaboo längst überholt.

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Tipp: Sollten die Reifen deines Kellerfunds nicht mehr rundlaufen – es gibt bereits Firmen die sich auf die Erneuerung von Retrowagen spezialisiert haben:
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2 Kommentare

  1. Die Retrowägen schaun ja ganz cool aus, aber gewichtsmäßig und von der Handhabbafkeit her eher doch was für den Keller…ich mag den jedenfalls nicht ein paar Stiegen hochschleppen müssen oder alternativ im Stiegenhaus parken und anketten und hoffen, dass er am morgen noch immer alle 4 Räder hat… 😉

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