Schrieb Stieg Larsson Millenium selber?

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Stieg Larsson, der zweitbest verkaufteteste Autor der Welt. Seine Millenium-Trilogie ging 26 Millionen Mal über den Ladentisch. Der Mix aus Sex, Gewalt, Rache und politischer Korrektheit hat die Story breitenwirksam gemacht. Miterleben durfte er den unglaublichen Erfolg seiner Trilogie nicht mehr.2004 verstarb er an einem Herzinfarkt. Mit seinem Tod entspann sich ein ganz persönlicher geheimnisvoller Plot rund um seine Person.

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Stieg Larsson scheint ein recht zurückhaltender und bescheidener Mann gewesen zu sein. Abgesehen von einigen Drohungen gegen seine Person, aufgrund seiner journalistischen Tätigkeit aus dem nazistischen Umfeld, ist nicht viel Aufregendes über ihn zu sagen. Die wirklich spannenden Dinge passierten erst nach seinem Tod.

Noch zu Lebzeiten schickt seine Lebensgefährtin Eva Gabrielsson die drei Millenliumbücher an den Piratenverlag, ein kleiner, alternativer, schwedischer Verlag. Ungeöffnet erhält sie das Kuvert zurück. Sie versucht es beim etablierten Norstedts Verlag. Dort entscheidet man sich sofort, die Bücher zu veröffentlichen und wird diese Entscheidung sicher nicht bereuen. Liza Marklund und Jan Guillou, die Betreiber des Piratenverlags und selber sehr erfolgreiche Krimiautoren, dürften seit dem Millionenverkauf der Larsson-Bücher etwas weniger gut schlafen. Larsson selber stirbt bevor der Rummel richtig losgeht.

Held oder Aufschneider?

Posthum wird Stieg Larsson aber nicht nur als Held gefeiert. Als Journalist habe er, meinen manche ehemalige Arbeitskollegen wie Kurdo Baksi, sich beispielsweise nicht immer präzise an die Fakten gehalten. Er sei kein objektiver Berichterstatter gewesen, sondern habe sich selbst  als meinungsbildenden Journalisten gesehen, und sich hin und wieder etwas mehr Interpretationsspielraum zugestanden, als eigentlich vertretbar gewesen wäre. Sein Arbeitsalltag gestaltete sich auch nicht sonderlich spektakulär. Ein Bürojob eben.

Seinem Hauptprotagonisten aus Millenium, Mikael Blomkvist, könnte man das nicht nachsagen. Auch er ist investigativer Journalist, aber selten in der Redaktion  anzutreffen, weil  immer auf Achse. Und wenn  das Ergebnis seiner Recherchen mal  nicht ganz sauber ist, liegt der Fehler nicht bei ihm –  nein,   dann  ist er selbstverständlich Opfer eines Komplotts geworden.

Offensichtlich hat Stieg Larsson, und das meinen die meisten seiner Weggefährten, mit Blomkvist eine verbesserte literarische Version seiner selbst erfunden.

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(Michael Nyquist als Mikael Blomkvist; Foto: Knut Koivisto)

Wer sich mit dem Journalisten und Hauptprotagonisten Blomkvist identifiziert, steht moralisch über den normalen Menschen. Blomkvist ist nicht bestechlich (Welcher normale Mensch kann das von sich behaupten!?). Blomkvist steht bedingungslos auf der Seite der Frauen. Er würde sich eher ‚etwas abschneiden‘, als eine sexistische Meldung loszulassen. Blomkvist ist mutig und wenn es um Recht und Ordnung geht, kämpft er auch gegen den gesamten schwedischen Staatsapparat. Jeder Rechtsstaat könnte eine Hand voll Blomkvists gebrauchen.

Blomkvist „Lover oder Vaterfigur“?

Mit der Einführung der Figur Lisbeth Salander gelang Stieg Larsson wahrscheinlich der entscheidende Schritt zum Bestsellerplot. Salander ist die Frauenfigur der Zehnerjahre. Als Hackerin erfüllt sie alle Kriterien: Intelligenz, Subversivität und Wehrhaftigkeit.

Schon zur Jahrtausendwende war klar, dass Hacker und Computernerds sich als Roman- und Filmhelden eignen: Sie sind die neuen Outlaws, die subtilen Strickenzieher, die absoluten Oberschlaumeier. Aber meist das Gegenteil von „fashion“. Mit einem herkömmlichen Computer-Geek kommt man Samstag Nacht nicht in den Club – fade Brillengestelle, schlecht sitzende Jeans und verschwitzte Schlabberthirts. Mit Lisbeth Salander: kein Problem.

Sie ist voll Punk: Piercings, Tatoos, Lack und Leder. Sie kann nicht nur einstecken, sie schlägt auch zu, ist gefühlskalt und gleichzeitig loyal. Aber auf der anderen Seite, und das macht sie wahrscheinlich auch so interessant, hat sie den Körper eines Mädchens. Klein und schmächtig ist sie und ihre Brüste sind „ein schlechter Witz“.

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(Noomi Rapace als Lisbeth Salander; Foto: Knut Koivisto)

Blomkvist geht trotzdem mit ihr ins Bett, aber natürlich geht alles von ihr aus. Sie setzt sich nächtens nackt auf ihn drauf und er kann nicht nein sagen. Eigentlich darf er auch gar nicht nein sagen. Das würde sie kränken. Das erinnert an die Phantasie eines verhinderten Frauenhelden mit einer Vorliebe für junge Mädchen.

Ein Frauenheld, das ist etwas was Stieg Larsson, im Gegensatz zu seinem Romanhelden, eben gerade nicht war. Diesen Part übernimmt Blomkvist mit unglaublicher Leichtigkeit. Seine Langzeitliebhaberin ist verheiratet und von daher nicht eifersüchtig aber stets verfügbar. Ihr Mann hat zu akzeptieren, dass sie Blomkvist sexuell „nunmal braucht“. Nebenbei kann sich Blomkvist jeder Versuchung hingeben. Er hat Spass und keine Frau ist ihm deswegen böse. Erinnert wieder an eine sexuelle Phantasie eines verhinderten Frauenhelden mit dem Bedürfnis nach moralischer Entlastung.

Doch mit dem zweiten Buch nimmt das Verhältnis zwischen Blomkvist und Salander eine Wendung. Salander muss schmerzlich einsehen, dass Blomkvist mittlerweile eher wie ein Vater zu ihr steht. Er sorgt sich um sie, will aber keinen Sex mehr. Er liebt sie nicht als Frau sondern als schutzbedürftige Freundin. Sie ist am Boden zerstört, er wendet sich einer Dame seines Alters zu.

Männer die Frauen hassen

Die Texte von Stieg Larsson haben immer wieder von Gewalt von Männern an Frauen gehandelt.  So lautet  auch der Originaltitel des ersten Teils, der Millenium-Trilogie: „Männer die Frauen hassen“.

Eines der prägensten Erlebnisse in Stieg Larssons Jugend: Er war Zeuge als Freunde von ihm ein Mädchen vergewaltigten. Und er schritt nicht ein. Einige Tage nach der Vergewaltigung habe er sie um Verzeihung gebeten. Das Mädchen wies ihn aber zurück: „Das werde ich dir niemals verzeihen.“

Man kann sich nun denken, dass der Vorfall ihn geläutert und ihn besonders sensibel gegenüber Gewalt gegen Frauen gemacht hat. Es bleibt in diesem Zusammenhang aber offen, warum der Gerechtigkeitsfanatiker Larsson, nach der Tat und der Zurückweisung seiner Entschuldigung, nicht zumindest Anzeige erstattet hat?

Eva Gabrielsson, eine Frau, die sich wehrt

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(Eva Gabrielsson; Foto: Thomas Engström)

Stieg Larsson hinterlässt viele unbeantwortete Fragen rund um seine Person und außerdem ein Millionenerbe, dieses geht jedoch nicht an seine Lebenspartnerin Eva Gabrielsson, mit der er 32 Jahre zusammenlebte, denn er hat nie ein Testament verfasst. Sein Vater und sein Bruder, Erland und Joakim Larsson, bekommen das gesamte Vermögen. Eva Gabrielsson reagiert erbost und droht unmittelbar nach der Beerdigung mit rechtlichen Schritten. Stieg Larsson habe gewollt, dass die Einkünfte der ersten drei Millenium-Teile ihre Altersvorsorge stellen und die Einkünfte der darüber hinaus geplanten sechs Teile humanitären Projekten zugute kommen sollen, sagt sie im schwedischem Fernsehen im September 2009. Er hätte „endlich eingesehen, dass er ihr gemeinsames Leben anders priorisieren müsste“. Mit drei bis vier Millionen hätten sie gerechnet.

Auf die Frage, wie sie schon, vor dem Druck des Buches, mit solchen Summen hätten rechnen können, antwortet sie trotzig „sie hätten ihr Leben lang Bücher gelesen, und wüssten daher ob ein Buch gut ist oder nicht“.

Die Geschichte spitzt sich zu, als Eva Gabrielsson einen weiteren angefangenen vierten Millenium-Teil auf einem Laptop entdeckt. Dieser soll, ihrer Aussage nach, jedoch nicht in die Erbmasse eingehen, da der Computer der Zeitung Expo gehört habe, bei der Stieg Larsson vor seinem Tod gearbeitet hatte. Das Gerät  ist mittlerweile auf rätselhafte Weise verschwunden und Eva Gabrielsson will Fragen nach dem Laptop nicht beantworten.

Währenddessen mehren sich die Stimmen, dass Stieg Larsson ein untalentierter Schreiber gewesen sei, dem man das Verfassen seines eigenen Werkes nicht zutraue.

Noch dazu unterscheiden sich die drei Werke in der Handschrift stark: Ist der Plot des ersten Teils sehr dicht und spektakulär, verlangsamt sich das Tempo im zweiten und dritten Teil merklich. Kleine Details treten in den Vordergrund. Allein die Wohnungsuche von Lisbeth Sallander im zweiten Teil erstreckt sich über mehrere Kapitel.

Immer öfter kommt daher der Verdacht auf, Larsson hätte nur recherchiert und einen oder mehrere Ghostwriter für sich schreiben lassen. Oft wird Eva Gabrielsson diese Rolle zugeschanzt. Sie wehrt aber stets empört ab.

Bis Januar 2010…

Plötzlich geht Eva Gabrielsson an die Presse und bekennt sich als Co-Autorin der Trilogie. Sie könne gar nicht genau sagen, was von ihr und was von ihm gekommen sei, so eng hätten sie zusammen gearbeitet. Kämpfte sie deswegen so unerbitterlich um das Erbe?

Aber warum stand nicht von Anfang an ihr Name mit am Buchcover? Ihr Argument: Sie hätten ihren Namen nie angeführt, aus Angst vor Attacken durch Rechtsextreme. Niemand hätte von ihrer Relation mit Larsson wissen dürfen.

Erland und Joakim Larsson sehen diesen Punkt etwas nüchterner. Gabrielsson hätte unter einem Pseudonym schreiben können, wie jeder andere Mensch auch. Und die Drohungen von Rechts sind auch keine Erklärung dafür, warum Stieg Larsson kein Testament aufgestetzt hatte, um seine Lebensgefährtin abzusichern.

Die beiden Millionen-Erben leben in den selben Häusern und fahren die selben Autos, wie vor Larssons Tod. Das viele Geld habe ihr Leben nicht großartig verändert, meinen sie und sie würden es gerne in Larssons Sinne verteilen. Direkt nach Larssons Tod wollten sie mit Eva Gabrielsson Kontakt aufnehmen und die finanziellen Angelegenheiten klären. Sie aber verweigere bis heute ein Treffen.

Ihrer öffentlichen Performance nach zu urteilen, hat sie durchaus Talent Zusammenhänge dramatisiert darzustellen. Als Co-Autorin – oder vielleicht sogar als federführendes Mastermind von Millenium – ist sie durchaus vorstellbar.

Hat sie aus dem promisken Blomkvist, der mit der sexuell missbrauchten und misshandelten jungen Salander ins Bett geht, eine sich sorgende Vaterfigur gemacht? Hat sie den zweiten und dritten Teil vielleicht sogar nach Larssons Tod geschrieben? Ist deswegen der Schreibstil so unterschiedlich?

Ist, was nun folgt, ein Beschwichtigungsversuch an Fans und Presse, zur Rettung des Oeuvres oder eine finanzielle Notlösung? Gabrielsson hat  nämlich angeboten, den vierten Millenium-Teil in Larssons Namen fertig zu schreiben.

Bis dahin wird sie wahrscheinlich von Spendengeldern leben müssen. In ganz Europa wurden Internetseiten von Fans eingerichtet, die um Donationen für Eva Gabrielsson bitten, die es ganz „salanderesk“ mit zwei Männern aufnimmt.

Patrice Fuchs

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3 Kommentare

  1. Ich habe alle drei gelesen – auf schwedisch und den ersten auch mal auf deutsch und finde sie sehr gut, auch die Übersetzung ist gut gelungen. Der Film ist nicht so toll, ist aber klar, dass man nicht alles unterbringen kann was da vorkommt. Das selbe mit den Harry Potter-Filmen, wenn man die Bücher kennt sind die Filme teilweise „zu kurz“. Jedenfalls sind die Filme sicher spannender wenn man die Bücher nicht gelesen hat..

    Jetzt warten wir mal auf die Ami-Version des Films 🙂

  2. Ich habe mir alle drei Teile angesehn und wirklich: von der ersten bis zur letzten Minute spannende Unterhaltung.
    Ich war sehr gefesselt von den Themen wie Machtmißbrauch, Vergewaltigung, Gewalt, Vergangenheitsbewältigung, gesellschaftlichen Mißstände usw. die hier aufgezeigt wurden.
    Hab die Bücher zwar nicht gelesen aber diese Verfilmung gefällt mir sehr gut.
    Und ein großes Lob an die schauspielerische Leistung von Noomi Rapace (Lisbeth Salander)…gut besetzt…fesche Frau….
    PS: Hollywood ist auch schon dabei die Story zu verfilmen, bin mal gespannt was dabei rauskommt…

  3. Ich hab das erste Buch verschlungend (es ist echt sehr spannend!!), mir dann gleich die zwei anderen der Trilogie gekauft und bin aber beim zweiten schon in der Mitte ausgestiegen. Was für ein bodenloser Fall in die Langeweile. Und ich bin da echt nicht so…ich glaubs sofort, dass das jemand anderer geschrieben hat.

    Der Protagonist Mikke Blomkvist ist mirs auch nicht so, ich mag eher Lisbeth Salander, auch, wenn mir bei hr eine andere Biografie lieber gewesen wäre. Die Geschichte mit ihrem Vater fand ich zu sehr konstruiert. Aber ich mag, wie sie gezeichnet ist. Sie ist einfach ein Superhero.

    Blomkvist ist irgendwie so ein Weiberer wider willen (gibts sowas überhaupt? ich glaub hier auch eher an eine Männerfantasie), der im ersten Band mit echt jeder Frau, die vorkommt und unter 70 ist, ins Bett geht.

    Ansonsten finde ich Blomkvist fast schon langweilig, eben weil er, wie Lisbeth sagt, keine „Geheimnisse“ hat. Und obwohl er mit so vielen Frauen ins Bett geht, ist auch sein Sex langweilig.

    Nachdem ich nun den Film auch gesehen habe, hat sich das Thema jetzt für mich erschöpft. Buch 2 werd ich nie fertiglesen, Buch 3 nie beginnen und die anderen Filme weiss ich noch nicht.

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